Industrieentwicklung & Genealogie e. V.
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09.-11.06.2017

W.I.R. lautstark - Festival gegen Rassismus

Fremdenfeindlichkeit hat keine Chance

Die Werdauer Band "Still Trees" sorgte in den gestrigen Morgenstunden für den musikalischen Abschluss des vorletzten Festivaltages. Foto: Thomas Michel/FP

Beim dreitägigen Festival gegen Rassismus in Werdau sind sich Teilnehmer verschiedener Nationen näher gekommen. Mit Neugier, ohne Vorurteile.

 

Stanislav hat es drauf. „Er ist sehr talentiert“, lobt Workshopleiter Crisanto am Samstagnachmittag den Einsatz des Schülers, der aus der Slowakei kommt, aber in Werdau zu Hause ist. Gemeinsam mit seinen Freunden Ramon und Tuan Anh hat der Fünftklässler an einem Hip-Hop-Workshop im Freizeit- und Kreativ-Treff teilgenommen. „Es macht super viel Spaß und die Lehrer sind spitze“, geizen die Drei nicht mit Lob für Crisanto und Alda, die aus Berlin nach Werdau gereist sind, um Kinder für diese Art des Tanzens zu begeistern. „Unabhängig von Herkunft und Nationalität machen sie hier etwas zusammen, es gibt eine Kultur des Miteinanders“, sagt der Workshopleiter, der seit 17 Jahren tanzt. Also Ziel erreicht. Darüber freuten sich auch Ute Glatzer und Cornelia Seifert vom Freizeitreff. „Natürlich haben wir gern am Wochenende unsere Räume zur Verfügung gestellt. Das Genöle, das in Werdau nichts los ist, stimmt einfach nicht“, sagen die beiden Frauen.

 

In der Alten Tuchfabrik sorgte die Werdauer Band „Still Trees“ um Paul Pinther und Willy Völkel für das musikalische Highlight des Tages. Allerdings mussten sich die Fans in Geduld üben, nachdem sich die szenische Lesung und die Podiumsdiskussion um die Aufarbeitung der NSU-Verbrechen zeitlich verschoben. Allerdings tat das der entspannten Stimmung keinen Abbruch. Spätestens mit dem Konzert von „Friedrich Chiller“ aus Dresden stand dann die Musik im Mittelpunkt. Das Trio spielte sein komplettes Repertoire herunter und machte Platz für die „Still Trees“.

 

Michelle Martin, eine der Organisatoren des Festivals, war zufrieden. „Die Vorbereitung war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt“, zog die
25-Jährige, die in Berlin Medienwissenschaften studiert, Resümee. „Wir haben nur positive Resonanz erhalten.“ Und viel Unterstützung, zum Beispiel beim Bereitstellen der Locations oder bei der Verpflegung der Gäste. „Keiner hat etwas bezahlen müssen“, sagt Michelle Martin. Die Werdauerin und ihre Mitstreiter waren am Wochenende ein bisschen stolz, auch auf ihre Heimatstadt.

 

Autorin: Annegret Riedel/Freie Presse

„Werdau ist eine freundliche Stadt“

von Isabel Groß

 

„Werdau ist eine freundliche Stadt“

Daran vorbei jeden Tag

fahre ich mit dem Fahrrad

und habe es satt:

Das "freundlich" und das "Stadt

Werdau" sowieso und Fahrrad fahren ganz allgemein.

Werdau ausgeblutet und angestückelt.

 

Modern an so effizienten und Allgemeinwohl fördernden Stellen wie dem Sparkassenparkplatz.

Weniger bei den geschlossenen Fenstern der Schule, die die frische, gute, gesunde Landluft nach innen lassen. Man findet nicht einmal auf Werdaus Bahnhof einen rasanteren Zug.

Dagegen verlassen Luftzüge Werdau ständig, setzten sich ab, halten sich gen Westen, nehmen Fahrt auf, Träume fliehen in die Welt, dem Sauerstoff voraus.

 

Werdau eine Stadt unter Frischhaltefolie mit Löchern im Himmel.

Zum Atmen, atme die Plaste ein; zum Leben, ertrinke in abgestandenen Wassertropfen unter der durchsichtigen Oberfläche. Sinnlosigkeit traf noch nie so begeistert die Realität.

Täglich und aufs Neue heißt Überleben in Werdau, der Gleichgültigkeit den Mittelfinger zu zeigen.

 

Werdau – meine heimische Durchgangsstation. Transit mit Perspektive. Kein Verkehrsknotenpunkt, mein Lebensmittel-, Sackgassenverteilungspunkt , meine Zentrale für zerstreute, weit- und weltverbreitete Träume. Luftwurzeln gedeihen auf dem Boden Werdaus, bahnen sich ihren Weg ins wogende Wolkenfeld; ich lebe in Werdau, schlage Wurzeln ganz woanders, überall.

 

Werdau eine Durchgangsstation, die still steht. Eingefroren, Luftkorrodiert, Anti-Aging-Programm gescheitert, Mumifizierung statt Frischhaltung, rostrotbraunes Leuchten, warnt vor porträtierter Idylle und versierter Farbberatung – braun war schon immer eine scheiß Farbe.

 

Menschen ignorieren, fahren fest und ich roste ein bevor Rasten annähernd eine Alternative wurde. Krabbeln, Laufen lernen, Position finden, verharren, Wurzeln verscharren und hoffen, dass der schützende Lack nicht bröckelt, keinen Schaden nimmt, die Fassade verlässlich verziert. Luftwurzeln überleben nur schwer hier.


Werdau meine Heimat, meine Übergangszone, meine Einweg-bushaltestelle, mein Lebensmittel- und -traumverteilungspunkt. Stille kehrt so oft ein, wenn keine Busse, Züge, Autos, Fahrräder fahren oder schleichen, wenn ein einzelner Fußgänger verschreckt die Straßenseite wechselt, weil es um acht Uhr abends noch eine andere Seele gibt, die durch Werdau streift und hofft und träumt und atmet statt trinkt. Kein Gruß der beiden.

 

„Werdau ist eine freundliche Stadt“, freundlich im diskreten öffentlichen Verhalten und anonyme Fensterschauer, die eigentlich jeder kennt und doch nie Hallo sagen hört. Stille, still, still stehen, steht für diese Stadt – verkommt dabei zur Erinnerung und Erinnerungen sind nur Ideen verstrichener Zeiten in Kisten geworfen. Sie sind versiegelt mit schweren Ketten, Sicherheitsschlössern – und Codes oder nur mit Klebeband und wackelndem Deckel; tragen Aufschriften wie „abgehakt“, „vertagt“, „bereut“, „geht besser“. Kisten sind die Ziele von peniblen Listen wie "100-Dinge-die-ich-tun-will-bevor-ich-sterbe" oder "-80-bin" oder "–Zwillinge-habe" oder "-mir-eine- Monobraue-wächst". Als wäre das Leben in der Heimat eine To-do-Liste, die mit 0,5 % Fehlerquote abgearbeitet werden muss, sonst was? Wird man nicht glücklich? Oder ist es eher wie im Kindergarten mit den Yu-Gi-Oh-Karten? Man sammelt, tauscht sich aus, gibt an und im Endeffekt will man die Schlacht mit Ruhm und Ehre gewinnen. Trophäen und Medaillen passen zu gut in eine Kiste zum Verstauben und diese Schatztruhen lassen die glorreichsten Schiffe sinken. Verschlossene Erinnerungen lasten schwer und still.

 

Werdau mein heimischer Durchgangs-, Bushaltestellenlieblings-, - zerstreuungsort. Meine Luftwurzeln suchen Sauerstoff und statt stillen Bäumen brauche ich Musik, lautes Krachen, emotionales Gebrüll, hitzige Gespräche über die beste Eissorte, genüssliches Schmatzen und höllische Bauchschmerzen von zu viel und nicht genug von Omas selbstgebackenem Kuchen, Hauptsache Worte auch wenn sie geschrien, geschluchzt, gelallt, geflüstert oder einfach klar und deutlich gesagt werden. Man soll mit gutem Beispiel vorangehen: Werdau soll leben – lautstark.

 

Werdau ist meine Heimat.

 

Werdau, 11.06.2017

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