Meine Damen und Herren,
von unseren Vorfahren haben wir nicht nur die Landschaft und evtl. Güter vererbt bekommen, sondern vor allem auch viele unserer Eigenschaften. Man sagt, daß ca. 50% unseres Verhaltens, unsere Neigungen zu bestimmten Krankheiten und unsere Fähigkeiten vererbungsbedingt sind.
Jeder Mensch denkt deshalb mehr oder weniger, früher oder später über das Woher nach und möchte etwas von seinen Vorfahren erfahren. Die sich damit beschäftigende Wissenschaft ist die Genealogie. Einer der fleißigsten und kreativsten Genealogen dieses Jahrhunderts gedenken wir in der heutigen Gründungsversammlung, Herr Dr. phil. Alfred Lindner. Dieses tun wir auch im Zusammenhang mit seiner Frau Maria Lindner, die es fast über 25 Jahre hinweg verstanden hat, sein Werk vollständig zu erhalten.
Ihr Wunsch wird nun heute in die Tat umgesetzt, mit der Gründung eines Vereins mit einer bedeutenden genealogischen Bibliothek. Sie hatte Frau Dr. Oberländer mit Büchern und mich mit der Durchführung aller notwendigen Arbeiten beauftragt, für den Fall Ihres Todes. Dank der wirkungsvollen Arbeit von Herrn Reinhold, der Frau Maria Lindner auch über viele Jahre verbunden war, können wir nun den Wunsch von Frau Lindner in besonderer Weise umsetzen.
Der Grundgedanke des Vereins ist die Erhaltung des genealogischen Werkes von Dr. Lindner, in der Gegend in der es geschaffen wurde. Wir haben uns deshalb mit der genealogischen Fakultät der Universität Leipzig in Verbindung gesetzt und das Vorhaben zuerst mit diesem Institut abgesprochen. Von dem Institut, Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Abt. Deutsche Zentralstelle für Genealogie, Herr Prof. V. Weiß und der Referentin Frau M. Wermes wurde uns bestätigt, daß die Effektivität von genealogischen Unterlagen in der Region, wo diese Unterlagen entstanden sind, viel höher als in zentralen Archiven ist. Das Institut hat seit längerer Zeit Verbindung mit Frau Lindner aufgenommen, da eine Reihe von Unikaten nur dort vorhanden waren, so daß bei speziellen Forschungen auf die Quelle „Lindner“ Bezug genommen werden musste.
Insbesondere Herrn Reinhold ist es nun zu verdanken, daß der Gedanke einer Arbeits-bibliothek für alle, die die Familien-, Orts- und Landesgeschichte und das dazugehörige Werk bekannter Schriftsteller und bekannter Dokumente dieser Zeiteninteressieren, nun auch Anklang fand bei den öffentlichen Instituten. Zuerst erklärte sich die Stadt Werdau dazu bereit, das ihr Mögliche in Arbeit und Geld zu tun, um die Idee auch in dem notwendigen Rahmen durchzuführen. Das Land Sachsen beteiligte sich durch die Gewährung eines weiteren, höheren Zuschusses in einem Förderbescheid Ende des vergangenen Jahres.
Bedingung für die Landesförderung war der Übergang des Besitzes der gesamten Bibliothek in das Eigentum der Stadt Werdau. Diese soll die Langfristigkeit der Verfügbarkeit über die persönlichen Verhältnisse hinaus sichern. Die Förderung wurde deshalb nicht für den Verein gewährt, sondern der Stadt Werdau unter Einbringung einer Eigenleistung von Herrn Reinhold von 10%.
Den Kaufpreis, den die Stadt Werdau aus den 3 Beträgen Landesförderung (75%), Stadtzuschuß (15%) und 10% Eigenleistung von Herrn Reinhold erbracht hat, ist nun das Eigenkapital des Vereins, da Frau Dr. Oberländer den gesamten Betrag für den Verein gespendet hat. Dieses Kapital ist nun ein Teil des Rahmens in dem die Bibliothek untergebracht wird. Ein weiterer Teil kommt von Herrn Reinhold, der dankenswerterweise sich verpflichtet hat, eine Reihe von Leistungen beizusteuern. Der bemerkenswerteste Teil seines Beitrages wird das einmalige Glasfenster im Bibliotheksraum und die Zurverfügungstellung eines Teiles des Konferenzraumes neben dem Bibliotheksraum sein.
Bis es so weit war, war viel Arbeit notwendig. Es ist eine Gründungsversammlung, der geeignete Ort und die geeignete Zeit, dieser Leute zu gedenken. Bei der Vorbereitung der über 1300 Bücher und Sammlungen, Karten und Kästen, mit genealogischen Unterlagen, wurden von mir koordiniert und es standen als Hilfe zur Verfügung: Frau Stiebitz, Frau Thomas, Frau Dr. Oberländer, Hr. Hahn, Hr. Sterzik, Hr. Gruhnert und Herr Scharf.
Bei der Sortierung, computermäßigen Erfassung und Einordnung kam dann noch Herr Nolte hinzu, unter Mitwirkung von studentischem Hilfspersonal. Die Bewertung der Unterlagen im Rahmen der Fördermittel geschah hilfreich, zügig, unbürokratisch und mit großer Fachkenntnis von Frau Wermes, der Referentin von Prof. Weiß aus Leipzig, der wir noch einmal an dieser Stelle herzlichen Dank sagen.
Die Übernahme der Unterlagen für eine Registrierung wird unter der fachlichen Anleitung von Dr. Beier vom Museum Werdau, von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgeführt, wobei auch sein persönlicher Einsatz, wie der Transport der 850kg Bücher noch einmal besonders gewürdigt werden soll. Wir hoffen auch in Zukunft auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mit ihm. Der organisatorische Ablauf geschah durch Herrn Tzschucke vom Rathaus, wobei sich besonders der Bürgermeister Herr Gerber und Frau Stadträtin Tuch für diese Sache eingesetzt haben.
Sie können sich also vorstellen, wie viel Kleinarbeit bis zum heutigen Tagenotwendig waren, um diese einmaligen Voraussetzungen einer genealogischen Bibliothek zu schaffen. Die bisher Beteiligten hoffen nun auch auf Ihre tatkräftige Mithilfe in dieser Sache.
Warum ist nun eine solche Bibliothek von großer Bedeutung?
Die Entwicklung einer Region hat viel mit dem Vertrauen wichtiger Initiatoren in dieser Gegend zu tun. Aus Werdau und Crimmitschau sind viele bedeutende Entwicklungen, Produkte und Persönlichkeiten hervorgegangen. Nur ein kleiner Teil der ehemaligen Produkte wird hier noch hergestellt. Bei der Entscheidung, die Region Werdau wieder als Heimat für Leben und Produktion zu wählen, spielen oft auch die Wurzeln, die Herkunft und das Vertrauen und die Liebe zur Gegend eine große Rolle. Einmalige Dokumente über unsere Gegend, Familien und ihre Lebensverhältnisse stehen uns nunmehr durch die Mithilfe der vielen Beteiligten ohne jeden Verlust zur Verfügung. Was das bedeutet, bei der Bewahrung dieser Unterlagen schwieriger Vergangenheit, kann nicht genug eingeschätzt werden.
Ich möchte Ihnen jetzt nur noch kurz ein paar s/w-Bilder von den farbigen Unterlagen zeigen. Vielleicht lassen Sie sich durch diese Bilder zusätzlich anregen für die Arbeit mit diesen Unterlagen und zur Liebe zu diesem Werk.
Aber nicht nur die vollendeten Werke von Dr. Lindner sind von Interesse, sondern auch die durch ihn, zu anderen Persönlichkeiten entstandenen Unterlagen und Schriftverkehr. Hier möchte ich besonders die Originalkorrespondenz von ihm mit dem Schriftsteller Hermann Hesse erwähnen, der auch 2 mit Farbbildern von ihm selbst gezeichnete Briefe an Dr. Lindner geschickt hat. Hermann Hesse hatte eine intensive Beziehung seit dem Jahre 1918 zu ihm, bis zu seinem Tode nach dem 2. Weltkrieg gehabt. Durch diese Beziehung hat Dr. Lindner die Möglichkeit gehabt, jungen Schriftstellern zum Druck ihrer Bücher zu verhelfen. Offensichtlich ist das nicht in jedem Fall gelungen, da noch eine Reihe unveröffentlichter Originalschriften von jungen Schriftstellern in den Unterlagen von Dr. Lindner enthalten sind.
Der Ratschlag, den Hermann Hesse ihm in seinem seiner letzten Briefe gegeben hat, hat ihn sein Leben lang geprägt. Hermann Hesse schrieb am 22.Dez. 1919 aus Montagnola u.a. „den Rat, den ich Ihnen einmal gab, möchte ich nicht ändern. Lieber alles wegwerfen und als Stromer auf die Walze oder als Auswanderer nach Südamerika gehen, als wider Willen in ein Amt und in eine Welt hinein dösen, an die man nicht glaubt, in der man sich selber wie maskiert vorkommt.“
Dr. Lindner ist diesem Rat in der Weise treu geblieben, daß er sich nie einem System verkauft hat, allen Verlockungen sich widersetzte und sich selbst treu blieb. Diesem Man und seiner tapferen Frau haben wir in Crimmitschau auf dem Friedhof ein würdiges Grab errichtet. Auf dem Grabstein ist er bei seiner genealogischen Arbeit dargestellt.
Es gilt nun, diese Arbeit und seine Ergebnisse zu erhalten und durch den Aufbau eines aktiven Vereins die Früchte dieser Arbeit auch zur Bereicherung der Beziehung der Menschen und damit auch dem Wirtschaftsstandort Werdau/ Crimmitschau zu nutzen. Dazu werden unsere gemeinsamen Bemühungen gebraucht. Wir sind sicher, daß diese Arbeit viel Interessantes zeigen wird und eine echte Bereicherung für uns alle sein wird.